Unternehmensbewertung & -transaktionen unter anhaltenden COVID-19- und Krisenbedingungen

Die COVID-19 Krise beherrscht unser Leben nunmehr seit über zwei Jahren. Seit rund 4 Monaten tritt die Kriegssituation in der Ukraine hinzu. Die Situation ist geprägt von Verunsicherung, Veränderung und Kurskorrekturen. Obgleich beide Krisen das Potenzial haben, eine schwere weltweite Wirtschaftskrise auszulösen, scheinen Kapitalmärkte immer noch eher moderat beeindruckt. Einzelne Branchen boomen geradezu noch, während andere von realen Existenzängsten geprägt sind oder nur über teils erhebliche Transferzahlungen funktionieren.

Unternehmensbewertung
COVID-19-Krise

Nicht nur die politischen Maßnahmen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern auch Verhaltensweisen der Menschen haben sich verändert oder müssen sich neuen Rahmenbedingungen fügen. Das hat Einfluss auf Produktions- und Lieferketten und damit in Verbindung stehende Zahlungsströme und letztlich auf Finanzkennzahlen von Unternehmen.

Der Verlauf der COVID-19 Pandemie und die daraus resultierenden Folgewirkungen sowie deren Dauer sind auch nach über zwei Jahren immer noch schwer abschätzbar. Vorhersagen, die noch vor Wochen und Monaten getroffen wurden, können sich in kurzer Zeit wieder überholen und erhöhen damit die Unsicherheit in der Planung.

Im Rahmen von Planungsrechnungen oder Annahmen, die für eine Unternehmensbewertung zu treffen sind, führt dies zu besonderen Herausforderungen. Der Unternehmenswert basiert auf der Prognose zukünftiger Zahlungsströme und stellt somit eine Ermittlung eines Zukunftserfolgswertes dar, der intersubjektiv nachprüfbar ist.1 Für den Unternehmensbewerter stellt sich aktuell die Frage, wie vor dem Hintergrund der Krisen mit der Prognose zukünftiger Zahlungsströme und deren Auswirkung auf die Kapitalkosten umzugehen ist.

Was ist der wahre Wert eines Unternehmens unter den derzeitigen Rahmenbedingungen? Welche Rolle spielt die anhaltende COVID-19 Krise oder die Kriegssituation bei der Durchführung einer Unternehmensbewertung? Wie sollte man vor diesem Hintergrund aktuell mit wichtigen unternehmerischen Entscheidungen z.B. dem Verkauf des Unternehmens umgehen?

Anlässe für Unternehmensbewertungen durch nicht geregelte Nachfolge weiter zahlreich

Laut DIHK gewinnt das Thema der nicht geregelten Unternehmensnachfolge weiter an Brisanz.2 Krisen führen aber in vielen Fällen zu Verunsicherung, Prioritätenverschiebung und Aufschub des Themas auf Unternehmerseite, wodurch sich die Fälle nicht geregelter Nachfolgen weiter erhöhen. Gleichzeitig ist aufgrund der Situation auf den Kapital- und Arbeitsmärkten eine deutliche Zunahme potenzieller Unternehmenskäufer zu verzeichnen. Wer nun als Unternehmer antizyklisch agiert, kann in der aktuellen Krise die Chance nutzen, interessante Optionen für die Regelung der eigenen Nachfolge zu erhalten. Nicht selten ergibt sich derzeit die Möglichkeit, auch KMUs im Rahmen eines Bieterverfahrens erfolgreich zu veräußern. Eine wesentliche Voraussetzung, um dieses Ziel zu erreichen, ist eine solide, objektivierte Unternehmensbewertung, die auch die aktuellen Rahmenbedingungen unter COVID-19 und Krisenszenarien würdigt und deren Effekte nachvollziehbar macht.

Auswirkungen der Krisen auf die Unternehmensbewertung

Vergleicht man die COVID-19 Pandemie mit anderen Krisen, so steht fest, dass sich die Folgen auch bei dieser Krise mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter abschwächen werden. Die Frage zurzeit ist: „Mit welcher Wahrscheinlichkeit und Intensität keimt die Krise erneut auf“? Bei langfristig orientierten Bewertungsverfahren - wie dem Ertragswertverfahren - werden sich die negativen Auswirkungen einer Krise grundsätzlich relativieren.3 Bei vereinfachten und modifizierten Ertragswertverfahren mit Vergangenheitsbezug und verkürzten Ergebniszeiträumen aber kann die Krise je nach Branche und Geschäftsmodell einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung und den Wert des Unternehmens haben. Nicht selten gibt es Fälle, die besonders von der Pandemie getroffen wurden. Hier bleibt oft nur noch der Liquidationswert.

Insofern muss bei der Durchführung einer Unternehmensbewertung „in Krisenzeiten“ zunächst überprüft werden, inwiefern und zu welchem Zeitpunkt der Betrieb von den Auswirkungen betroffen ist und damit als „Krisenunternehmen“ einzustufen ist.4 Die Erkennbarkeit der Auswirkungen ist durch den Bewerter einzelfallspezifisch zu beurteilen ist. Dabei sind auf Anknüpfungstatsachen wie das konkrete Geschäftsmodell, den Wirku4ngskreis und den Standort des zu bewertenden Unternehmens Bezug zu nehmen. Im Falle des von der Krise betroffenen Unternehmens ergibt sich der Effekt auf den Unternehmenswert dann nach IDW vor Allem über die Anpassung der Zahlungsströme in der Zukunft.5 Aber führt das wahrgenommene Risiko, die Unsicherheit am Markt auch dazu, dass Investoren Risikoprämien verlangen und diese möglicherweise auch Auswirkungen auf den Kapitalisierungszinssatz im Rahmen einer Unternehmensbewertung haben?

Szenarien bei der Planung zukünftiger Zahlungsströme

Risiken sind im Rahmen der Unternehmensbewertung meist im Zähler (Umsatzplanung) und im Nenner (Kapitalisierungsfaktor) zu berücksichtigen. Dem Unternehmensbewerter wird zunächst empfohlen, bei der Entwicklung von Planzahlen mehrere Szenarien zu beleuchten und diese nach Ihrer Intensität und Dauer zu entwickeln. Anstatt aller denkbaren Szenarien sollten aber idealerweise nicht mehr als drei Szenarien ermittelt werden. Folgt man dem IDW, so wurden bis vor kurzem noch drei Szenarien bezüglich des Weiteren Verlaufs der Pandemie diskutiert: Eine unmittelbare Erholung („V-förmiger Verlauf“), eine verzögerte Erholung („U-förmiger Verlauf“) oder eine langfristig negative Entwicklung („L-förmiger Verlauf“).6

Bezüglich des Eintritts dieser drei Szenarien erscheint derzeit aufgrund des fortgeschrittenen Stadiums aber gleichzeitig vorhandenen Impfstoffs sowie der Abschwächung der Verläufe der U-förmige Verlauf als vergleichsweise wahrscheinlich. Hier stellt sich die Frage, wie bzw. über welchen Horizont sich das „U“ genau definiert. Es muss besonders herausgestellt werden, dass die Folgen der Krise unternehmensindividuell nach Branche, Märkten und Geschäftsmodell zu beleuchten und in der Unternehmensplanung bzw. den jeweiligen Szenarien zu berücksichtigen sind. Staatliche Zuschüsse und Unterstützungsleistungen sind als Sondereffekt in den jeweiligen Jahren der Planung anzusetzen und zu bereinigen.7 Ist eine Branche wie z.B. der Einzelhandel oder die Tourismusbranche möglicherweise auch langfristig von Folgewirkungen der Krise betroffen, weil sich beispielsweise eine grundsätzliche Veränderung im Konsumverhalten und den Absatzkanälen ergibt, so sind diese Effekte ebenfalls einzelfallbezogen zu analysieren und einzuplanen.8 Hier ist besonders der Ansatz der ewigen Rente kritisch zu hinterfragen.

Obgleich viele kleine und mittlere Unternehmen noch immer keine standardisierte Unternehmensplanung durchführen, sollte gerade jetzt hierauf ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Dies gilt besonders bei einer anstehenden Unternehmensnachfolge, dem geplanten Verkauf des Unternehmens oder der Neuaufnahme dringend benötigter Finanzierungen.

Kapitalkosten kritisch analysieren

Der Diskontierungsfaktor (Nenner), mit dem im Rahmen des Ertragswertverfahrens die zukünftigen Gewinne des Unternehmens auf den Bewertungsstichtag abgezinst werden, sollte krisenbezogen untersucht werden. Aktuell ergeben sich steigende Zinsen. Daraus ergeben sich über den zugrunde zulegenden Basiszins tendenziell sinkende Unternehmenswerte. Bei der Ermittlung der Kapitalkosten stellt sich zudem die Frage, ob sich die mit der Pandemie einhergehenden Unsicherheiten in erhöhten Renditeforderungen von Eigen- und Fremdkapitalgebern niedergeschlagen haben. Dies ist bisher aber noch nicht über einen längeren Zeitraum erkennbar. Das IDW weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass im Rahmen von langfristigen Zukunftserfolgswertverfahren (Ertragswertverfahren) Kapitalmarktdaten auch in Krisenzeiten an langfristigen Analysen von Renditen zu beurteilen sind. Kurzfristige Ausschläge und mögliche Übertreibungen der Kapitalmärkte sind als momentane und nicht zwingend langfristige Stimmungsindikatoren einzuordnen.

Daher stellt das IDW fest, dass sich der Kapitalisierungszins auch in einer Krise weiterhin an langfristigen Analysen von Renditen orientiert, die in einer Größenordnung von 7,0% bis 9,0% (nach Unternehmenssteuern und vor persönlichen Steuern) beobachtet werden. Die Marktrisikoprämie sieht das IDW derzeit weiterhin in einer Größenordnung von 6,0% bis 8,0% (ebenfalls nach Unternehmenssteuern und vor persönlichen Steuern). Im Ergebnis sieht das IDW daher keine Notwendigkeit, die bisherige Methodik zur Ermittlung der Kapitalkosten anzupassen.9 Hier ist anzumerken, dass bei der grundsätzlichen Annahme, dass die Unsicherheit zugenommen hat, man dies auch in den Risikoprämien des Ertragswertverfahrens berücksichtigen müsste, solange man an den üblichen Vorgaben der Methode festhalten will. Daher müsste, wenn auch empirisch schwer nachweisbar, das Aufdecken von Risiken (wie eine bisher nicht in der Form vorhandene Pandemie) die Risikowahrnehmung und damit die Risikokosten erhöhen.10

Insbesondere eine mit der Krise einhergehende veränderte Verschuldungssituation des Unternehmens muss sich im Kapitalisierungszinssatz über den Beta-Faktor widerspiegeln. Insofern ist bereits erkennbar, dass bestimmte branchenbezogene Beta Faktoren sich krisenbedingt verändern. Pauschale Risikozuschläge auf den Kapitalisierungszinssatz sind nach Auffassung der führenden Bewertungspraxis allerdings derzeit zu verneinen.11

Fazit und Handlungsempfehlung

Insgesamt sorgen die mit den aktuellen Krisen, insbesondere der COVID-19 Krise, einhergehenden Effekte zunächst für große Unsicherheiten bei der Bewertung der zukünftigen Entwicklung der Unternehmen. Dies erschwert für den Bewerter die Prognose zukünftiger Gewinne und die Anwendung der bekannten ertragswertbasierten Methoden. Dem ist in erster Linie mit entsprechenden Planungsszenarien zu begegnen. Gerade im Hinblick auf die Bewertung kleiner und mittlerer Unternehmen sind vom Bewerter Besonderheiten und Risiken grundsätzlich zu würdigen, z.B. die Abhängigkeit vom Inhaber, von einem großen Kunden oder Lieferanten sowie die Verzahnung mit der Privatsphäre des Eigentümers oder ein besonderes Standortrisiko.12 Diese sind in der Bewertung über die Planung der Zahlungsströme (Zähler) und die Verkürzung des Ergebniszeitraums nachvollziehbar zu begründen.13 Mit der aktuellen Krise und Pandemiesituation kommt eine weitere Herausforderung hinzu. Die zusätzliche Risikoadjustierung im Kapitalisierungszinssatz sollte in Einzelfällen individuell geprüft werden.

Da die Unternehmensbewertung und eine damit verbundene Kaufpreisfindung immer eine Langfristbetrachtung sind, wird insbesondere das Thema COVID-19 jetzt und auch noch in mehreren Jahren nur ein Teil des Unternehmenswertes sein. Die besondere Situation kann methodisch fallbezogen zu geringeren Unternehmenswerten führen - dies aber in den meisten Fällen nicht in der Form, dass der Unternehmenswert kurzfristig stark nach unten schwankt. Es gilt, sich anlassbezogen bei der Planung zu positionieren und die unterschiedlichen Einflüsse auf das jeweilige Unternehmen, nachvollziehbar in der Bewertung zu berücksichtigen.

Bei einem Unternehmensverkauf mündet die Unsicherheit vermehrt in variable Kaufpreisanteile (Earn-out Strukturen) oder Abschläge auf den Basiskaufpreis. Gleichzeitig bietet sich aber durch eine Vielzahl potenzieller Unternehmenskäufer auf dem Markt derzeit eine sehr gute Chance, sein Unternehmen zu fairen und angemessenen Konditionen zu veräußern. Es empfiehlt sich daher auch in Krisenzeiten und einem damit verbundenen Anstieg der Zinssituation, wichtige unternehmerische Entscheidungen wie z.B. die eigene Unternehmensnachfolge nicht aufzuschieben, sondern einzelfallbezogen Chancen und Risiken gegeneinander abzuwägen.


Quellen:

1) IDW S 1 i.d.F. 2008, TZ 29.
2) DIHK-Report Unternehmensnachfolge 2020.
3) Fachlicher Hinweis des IDW Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vom 25.03.2020.
4) Fachliche Hinweise der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zu den Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19) auf Unternehmensbewertungen (beschlossen vom Präsidium der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer am 15. April 2020, TZ 5.
5) Fachlicher Hinweis des IDW Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vom 25.03.2020.
6) Fachlicher Hinweis des IDW Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vom 25.03.2020.
7) Bartl/Patloch-Kofler/Schmitzer, Auswirkungen der COVID-19 Krise auf die Unternehmensbewertung, RWZ 4/2020, LexisNexis.
8) Fachlicher Hinweis des IDW Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vom 25.03.2020.
9) Fachlicher Hinweis des IDW Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vom 25.03.2020.
10) Kritik der Bewertungspraktiker z.B. covendit.de/2020/09/30/der-einfluss-der-corona-krise-auf-kapitalkosten-zur-unternehmenswertermittlung/
11) Fachlicher Hinweis des IDW Fachausschusses für Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) vom 25.03.2020.
12) BVS Standpunkt Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) 11-2017, TZ 3.4.
13) BVS Standpunkt Bewertung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) 11-2017, TZ 5.4.2.

Gastautor

  • Stefan Butz, Butz Consult