Warum die „ewige Rente“ für KMU-Bewertungen ungeeignet ist

Unternehmensbewertungen für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind besonders herausfordernd, da die klassischen Verfahren (Ertragswert nach IDW S1, DCF-Verfahren) die Besonderheiten von KMU nur unzureichend abbilden. Was aber ist ein geeignetes Verfahren für die Bewertung von KMU?

Warum die „ewige Rente“ für KMU-Bewertungen ungeeignet ist

Kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) sind in Bezug auf Größe, Alter, Branche, Eigentum und Geschäftsmodell in der Regel äußerst individuell. Hinzu kommt, dass meist keine marktbezogenen Vergleichsdaten vorliegen. Somit ist die Unternehmensbewertung von KMU ein komplexer Prozess, der sich in diversen Aspekten von der Wertermittlung großer börsennotierter Unternehmen unterscheidet.

Für die Bewertung von KMU wird noch immer nach einem zufriedenstellenden und einheitlichen Verfahren gesucht. Gleichzeitig wächst die Zahl der Unternehmenstransaktionen im KMU-Bereich und somit auch der Bedarf an Bewertungen, die die Besonderheiten von KMU angemessen berücksichtigen.

Unternehmensbewertungsverfahren im Überblick

In der Unternehmensbewertungstheorie und -praxis gibt es verschiedene Verfahren, die nebeneinanderstehen und denen eine unterschiedliche Bedeutung zukommt. Die Wesentlichen sind nachfolgend dargestellt:

Das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) favorisiert das Ertragswertverfahren, das auf dem Capital Asset Pricing Model (CAPM) basiert und als eine wesentliche Prämisse die unendliche Lebensdauer des zu bewertenden Unternehmens hat. Dies wird in der Anwendung einer „ewigen Rente“ ausgedrückt. Je nach Länge des Detailplanungszeitraums und Höhe des Diskontierungszinssatzes kann die „ewige Rente“ dabei über 70% des Unternehmenswerts ausmachen und hat damit einen enorm großen Einfluss. Gleichzeitig ist eine plausible und methodisch korrekte Herleitung der Annahmen einer „ewigen Rente“ regelmäßig eine der größten Herausforderungen in der Unternehmensbewertung.

Herausforderung „ewige Rente“

In der Grundannahme einer unendlichen Lebensdauer liegt für KMU bereits ein Problem: die Annahme ist gleichbeutend mit der Annahme, dass die dem Unternehmen zugrunde liegende Ertragskraft uneingeschränkt auf einen potenziellen Erwerber übergehen kann.

Diese Prämisse ist bei KMU in vielen Fällen allerdings nicht zutreffend, da u.a. aufgrund einer hohen Inhaber- und/oder Personenabhängigkeit von einer nur begrenzten übertagbaren Ertragskraft auszugehen ist. Auch das höhere Insolvenzrisiko eines kleineren Unternehmens führt zu einer sinkenden Überlebenswahrscheinlichkeit, die sich in der Begrenzung der Ertragskraft niederschlägt. Eine Anwendung der „ewigen Rente“ bei KMU würde zu unrealistischen/überhöhten Unternehmenswerten führen.

Die Problematik der Anwendung einer „ewigen Rente“ für die KMU-Bewertung hat auch das IDW erkannt und bereits 2014 in einem Praxishinweis empfohlen, die Ertragskraft von KMU im Zeitablauf abschmelzen zu lassen, bleibt aber vage in Bezug auf die konkrete Umsetzung im Rahmen der Unternehmensbewertung.

Einigkeit besteht im deutschsprachigen Unternehmensbewertungsumfeld jedenfalls grundsätzlich darin, dass die zu diskontierenden Zahlungsströme anzupassen sind – z.B. über Szenariorechnungen, Abschmelzen der Ertragskraft oder Begrenzung des Planungszeitraums. Eine Anpassung über den Diskontierungszinssatz – z.B. über Size Premium – hat sich in Deutschland bislang nicht etabliert.

Lösungsansätze für die KMU-Bewertung

Mit dem modifizierten Ertragswertverfahren des Fachbereichs Betriebswirtschaft im Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger (BVS) gibt es einen möglichen Lösungsansatz, der die Anwendung des Ertragswertverfahrens speziell für die Bewertung von KMU präzisiert hat (BVS-Standpunkt 10-2022). Es kombiniert einen ideellen Wert (Ertragswert) mit einem materiellen Wert (Substanzwert). Bei der Ermittlung des ideellen Wertes kommt der Länge des Zeitraums, den ein Käufer benötigen würde, um das in dem Unternehmen liegende Ertragspotenzial zu reproduzieren, eine zentrale Bedeutung zu (i. d. R. 1 – 10 Jahre).

Der BVS empfiehlt, diesen Zeitraum unter zur Hilfenahme von neun verschiedenen Kriterien zu ermitteln. Diese sind:

• Inhaberprägung
• Personenabhängigkeit
• Kundenabhängigkeit
• Lieferantenabhängkeit
• Produkt-/Leistungs- und Branchenabhängigkeit
• Finanzierungsabhängigkeit
• Verzahnung von Unternehmens- und Privatsphäre
• Sonstige betriebliche Risiken
• Standortabhängigkeit

Die Kriterien werden im Rahmen der Detailanalyse des zu bewertenden Unternehmens (ggf. mithilfe des Unternehmens selbst) beurteilt und mithilfe eines Scoring Models ausgewertet. Dabei zeigt die praktische Auseinandersetzung mit diesen Kriterien, dass es sachgerecht ist, einzelne, für das zu bewertende Unternehmen besonders relevante Kriterien auch stärker zu gewichten. Welche dies im Einzelfall sind, ist u.a. in Abhängigkeit von Branche und Größe des zu bewertenden Unternehmens (gemessen an Umsatz und Mitarbeiteranzahl) zu beurteilen. Das Ergebnis des Scoring Models ergibt den anzuwendenden Ergebniszeitraum zur Ermittlung des Ertragswerts.

Weitere Details zu Unternehmensbewertungsmethoden und auch ein Praxisbeispiel zur Anwendung des modifizierten Ertragswertverfahrens können dem folgenden White Paper entnommen werden: Der Unternehmenswert bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

Um insbesondere für substanzstarke Unternehmen der Übertragung eines vorhandenen Anlagevermögens, welches vom Erwerber ggf. auch zu anderen Zwecken genutzt werden kann, Rechnung zu tragen, kommt im modifizierten Ertragswertverfahren dem Substanzwert eine ergänzende Rolle zu. Die bilanziellen Werte werden hier um stille Reserven oder Lasten bereinigt. Auf diese Weise wird ein Teilreproduktionswert ermittelt, der die Substanzwertkomponente im Rahmen des Verfahrens gemäß BVS-Standpunkt bildet.

Fazit

Die Anwendung der klassischen Verfahren der Unternehmensbewertung stellt Bewerter regelmäßig vor größere Herausforderungen in der Anwendung bei KMU. Es gibt dabei verschiedene Lösungsansätze, wie mit besonderen Abhängigkeiten und Unsicherheiten bei KMU umzugehen ist. Diese werden im deutschsprachigen Raum nahezu ausschließlich über die Berücksichtigung einer begrenzten Übertragbarkeit der Ertragskraft in den zu diskontierenden Zahlungsströmen abgebildet.

Ein praxisnaher und mit konkreten Anwendungshinweisen versehener Standard zur Unternehmensbewertung von KMU ist der BVS-Standpunkt 10-2022, der von einer Begrenzung des Ergebniszeitraums in Kombination mit der Berücksichtigung eines Substanzwerts ausgeht.

Die Bewertungspraxis in der Anwendung des modifizierten Ertragswertverfahrens, sowohl im Rahmen durchgeführter Transaktionen als auch weiterer, auch gerichtlicher Anlässe der Unternehmensbewertung, hat in vielen Jahren bestätigt, dass auf diese Weise ermittelte Unternehmenswerte in den allermeisten Fällen nahe an den Preisen liegen, die realisiert werden konnten. Damit ist aus unserer Sicht das modifizierte Ertragswertverfahren bei der Bewertung von KMU vorzugsweise anzuwenden.

Autoren

Christoph Butz
Christoph Butz
M.Sc. I Senior Consultant
Wirtschaftssachverständiger
Butz Consult
KMUVALUE®

Timo Krempe
Timo Krempe
Dipl.-Ökonom CVA
Senior Consultant
Wirtschaftssachverständiger
Butz Consult
KMUVALUE®

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