Unternehmenswert: Weit mehr als nur ein Multiple

Unterschätzte Einflussfaktoren auf den Unternehmenswert, die nicht von den üblichen Bewertungsmethoden erfasst werden. Ein Blick über den Tellerrand hinaus.

Unternehmenswert: Weit mehr als nur ein Multiple

Der Wert eines Unternehmens besitzt viele Dimensionen. Tatsächliche Relevanz besitzt er in der Regel immer erst dann, wenn es dabei um eine Unternehmenstransaktion geht: Im Sinne des Übertragens, Verkaufens oder Fusionierens einer Firma. Selbst der Erwerb einer Aktie über die Börse basiert auf der Feststellung des Unternehmenswerts im Moment des (Teil-)Verkaufs eben dieses. Man sollte meinen, der Umgang mit dem Unternehmenswert wäre etwas ganz Alltägliches, doch weit gefehlt. Es handelt sich um ein Mysterium, das es näher zu betrachten gilt.

Die gängigen Verfahren der Unternehmensbewertung sind hinreichend bekannt: Ertragswert-, Substanzwert-, Mittelwert-, Marktwert- und Discounted Cashflow-Verfahren bilden die Eckpfeiler, auf deren Basis es eine Menge Ableitungen und Spezifikationen gibt. Die Verfahren an dieser Stelle näher zu analysieren, macht wenig Sinn. Jedes besitzt seine Vor- und Nachteile, die ganze Lehrbücher füllen – und vom Finanzamt gegebenenfalls nochmals ganz anders beurteilt werden.

Definitiv korrelieren die Spezifika der Bewertung auch mit der Branche des Unternehmens, das man betrachtet. Die Brille des M&A-Beraters, der vornehmlich im Zusammenhang mit mittelständischen Transaktionen aus dem Tech-, IT- und Software-Umfeld befasst ist, hat definitiv einen anderen Fokus, als der Blick seines Kollegen auf – beispielsweise – das Health-Care- und Pharma-Segment mit Konzernstrukturen.

Schon allein die Größe der zu betrachtenden Unternehmen macht einen wesentlichen Bewertungsfaktor aus, wovon in erster Linie die professionellen Firmenkäufer aka Private Equity-Gesellschaften am Markt profitieren. Diese kaufen strukturiert Unternehmen auf, führen sie unter einem Dach zusammen und veräußern sie dann mehr oder weniger erfolgreich verbunden weiter. „Durchhandeln“ könnte man auch sagen, ohne dies wirklich negativ zu meinen. Man muss zugestehen, dass die PEs den Effekt des hinlänglich bekannten „Size matters“ erfolgreich institutionalisiert haben.

Im Umfeld der mittelständischen IT-Systemhäuser, wo die Konsolidierungswelle die letzten Jahre tobte, die synergetischen Effekte der Zusammenkäufe nur bedingt eintraten, konnten mit diesem simplen Mechanismus hervorragende Arbitrage-Gewinne erzielt werden: Eine Handvoll kleinere Kistenschieber zum Multiplikator 5 bis 7 bezogen auf das Gegenwarts-EBIT (typische Losgröße EUR 0,5 bis 1,5 Millionen) einkaufen, die firmeninterne Digitalisierung vorantreiben, großflächig Dauerschuldverhältnisse bei den Kunden ausrollen und dann das gesamte Konstrukt (typische Losgröße EBIT EUR 10 bis 20 Millionen) weiterversilbern – zu einem Multiplikator von 12 bis 20. Schon hat man seinen Einsatz im Minimum verdoppelt.

Schaut man hinter die Kulisse des Schlagworts Konsolidierung, so besagt das ganz klar: Es gibt Lebenszyklen für Unternehmen, die man eben bei der Feststellung des Unternehmenswerts erkennen muss. Besitzt ein Unternehmen zwar eine Daseinsberechtigung, wird am Markt noch gut angenommen, aber hat es eventuell versäumt, wichtige Anpassungen vorzunehmen und auf Trends zu reagieren? Befindet sich das Management in einer Lebensphase, in der die Weichenstellungen für die Nachfolge getroffen werden müssen, weil die Energie der Firmeninhaber nicht mehr ausreicht, die nächste unternehmerische Evolutionsstufe heraufzubeschwören? Oftmals sind Investitionen und Umstellungen angesagt, die langjährig aktive Firmeninhaber angesichts der eigenen schwindenden Lebenszeit meiden, ohne dass dies bereits ein signifikantes Versäumnis wäre. Dennoch spiegelt sich in derartigen Themen ein maßgeblicher Aspekt im Bereich der KMU, der sich subtil auf den Unternehmenswert auswirkt.

Und selbstverständlich ist da der Chef, der alles in der Hand hat: Das Recruiting talentierten Nachwuchses ebenso wie die Akquisition von Kunden oder gar die Produktentwicklung. Diese lebende Powermaschine hat das Unternehmen in 30 Jahren von 0 Umsatz auf EUR 20 Millionen hochgefahren, doch jetzt wird sie zum Malus für den Unternehmenswert: Die Zentrierung und Abhängigkeit von dieser Schlüsselperson ist viel zu groß. Sie bedeutet einen Abschlag auf den Unternehmenswert.

Was ich damit eigentlich sagen will: Unternehmenswert spiegelt eben alle Faktoren eines Unternehmens wider. Definitiv ist der Unternehmenswert etwas sehr Fragiles, selbstverständlich auch äußerst situativ. Die Ermittlung des Unternehmenswerts lässt sich zwar in Formeln packen, bleibt dennoch höchst subtile Arbeit. Am Ende stellt sich die Frage, wie man alle relevanten Faktoren, die den Unternehmenswert ausmachen, in eine Bewertung einbezogen bekommt. Kann man das überhaupt?

Checklisten sind ein hervorragender Ansatz, sich an das Essentielle heranzutasten. Natürlich sind einzelne Umsatz- und Kostenklassen auf diese Weise zu checken sowie eine Unternehmensplanung als Grundlage einer Bewertung zu plausibilisieren. Darüber hinaus lassen sich zunehmend leichter und aussagekräftiger KI-basierte Tools einsetzen, die ein Unternehmen zunächst mal analysieren – bis hin zu seiner Social Media-Reichweite, die heute ein weiteres elementares Puzzlesteinchen vom Unternehmenswert darstellt. Bis dato versagt die Künstliche Intelligenz im Bereich der KMU mit einem Unternehmenswert von bis zu ca. EUR 20 Millionen noch beim Auswurf eines finalen Unternehmenswerts: Ganz einfach, weil es kaum Referenztransaktionen mit detaillierter Darstellung der Bewertungsmaßstäbe im Internet gibt, die entsprechende Ableitungen in dieser Unternehmensgröße ermöglichen. Doch es ist im Rahmen der allgemeinen Vernetzung und zunehmenden Automatisierung davon auszugehen, dass auch hier mehr Transparenz Einzug erhält.

In Ergänzung all dessen ist das wichtigste Tool zur Erlangung eines Unternehmenswerts das persönliche, empathische Gespräch zwischen den Transaktionsbeteiligten – in der Regel Käufer und Verkäufer. Auf Basis der vorliegenden Zahlen (Bilanzen, BWAs, Summen- und Saldenlisten etc.) lässt sich im Gespräch leicht feststellen, wie ein Unternehmen aufgestellt ist. Wie das Geschäftsmodell in realiter funktioniert, wie Führung verstanden und gelebt wird, wie Mitarbeiterbindung erfolgt, was Akquisition bedeutet, wie ein Unternehmen für die Zukunft und für die Erfüllung des eigenen Businessplans aufgestellt ist, wie viel Potential ein Unternehmen bietet: Synergien, Strukturierung, Effizienzsteigerung, aber auch Markt- und Entwicklungschancen. Mit dem Resultat, den EBIT-Multiplikator signifikant herunter, aber auch heraufzusetzen.

Damit wird klar: Unternehmenswert hat auch etwas mit Respekt zu tun. Respekt des Inhabers vor seinem Unternehmen, dem gesamten Ökosystem, das es eben ausmacht. Ein Unternehmen ist schließlich das Zusammenspiel vieler interner und externe Beziehungen, Verbindungen und Mechanismen. Unternehmenswert hat aber auch etwas mit dem Respekt des Käufers für das zu erwerbende Unternehmen zu tun: Das bedeutet die Chance wahrzunehmen. Genau zuzuhören und hinzusehen. Sich Gedanken zu machen und mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen. Und dann, liebe Käufer, auch irgendwann mal eine „Zahl“ auszuspucken. Zunächst als Indikation, aber eben doch etwas, woran man sich orientieren kann. Das sollte, ehrlich gesagt, nicht allzu schwer sein. Um zu zeigen, wie ein Käufer tickt, benötigt er keine Mitarbeiter- und Kundenlisten, Mietverträge, Produktbeschreibungen, Vertriebspläne etc. Die 3B-Basics reichen: Bilanzen, BWA, Beziehung (im Sinne von Gespräch und Austausch). An dieser Stelle ist es eigentlich ganz einfach, seine Wertschätzung auszudrücken: Mit einer gewissen Zügigkeit, denn wochenlanges Wiederkäuen der zur Verfügung gestellten Daten macht im Zweifel das Wasser, in das man dann als Käufer doch springen muss, nicht wärmer. Mit einer gewissen Wertschätzung bei der Festlegung des Unternehmenswerts, denn ein plakativ niedrig angesetzter Unternehmenswert verbessert doch die emotionale Gemengelage zwischen Käufer und Verkäufer nicht. Im Gegenteil. Sie zeigt, dass der potentielle Erwerber kein Realist ist, was die langfristige Zusammenarbeit mit ihm sicherlich unangenehm machen wird. Dabei ist es doch der Verkäufer, der dafür sorgt, dass der Unternehmenswert auch nach einer M&A-Transaktion erhalten und sogar gesteigert wird. Schließlich bleibt er in der Regel noch für ein Jahr, wenn nicht sogar einige Jahre an Bord. Unternehmenswert drückt sich also auch in der Bereitschaft des Verkäufers, mit dem Käufer gemeinsame Sache zu machen aus. Damit hat ein Käufer mit seinem Verhalten den Unternehmenswert selbst in der Hand.

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Gastautor

Michael Hoh
Michael Hoh
Partner M&A
ascon Mergers & Acquisitions

 

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